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"Denn das ist das Wesen der Anthroposophie, dass ihr eigenes Wesen in dem besteht, was des Menschen Wesen ist; und das ist das Wesen ihrer Wirksamkeit, dass der Mensch dasjenige, was er selber ist in der Anthroposophie empfängt und es vor sich hinstellen muss, weil er Selbsterkenntnis üben muss."

(aus: Rudolf Steiner - Vortrag am 03.02.1913)

Identitätsfragen und Metamorphose 1990 bis heute

Existenziellen Grundproblematik

Eine partielle Integration der anthroposophischen Ansätze und Initiativen in das allgemeine kulturelle Leben in der westlichen Welt zeichnet sich ab. Seit 1989 werden Landesgesellschaften und anthroposophische Einrichtungen in Osteuropa und Russland gegründet, eine zarte Entfaltung im asiatischen Raum beginnt. Ende der 90er-Jahre bestehen anthroposophische Gesellschaften und Gruppen in über 100 Ländern. Schätzungsweise 10.000 Einrichtungen und Initiativen arbeiten weltweit auf anthroposophischen Grundlagen.

Mit diesen Entwicklungen gehen Identitätsfragen in den anthroposophischen Einrichtungen, Gesellschaften und der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft einher. Sie beziehen sich in erster Linie auf die persönliche spirituelle Praxis, die Fähigkeiten zur zwischenmenschlichen und gesellschaftlichen Zusammenarbeit und auf das Verhältnis zur allgemeinen Kulturentwicklung. Sie führen im Laufe der 90er-Jahre in vielen anthroposophischen Lebens- und Arbeitszusammenhängen und in der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft zu einer Neuorientierung. Das Entstehungsmoment der Anthroposophie sucht in dieser Neuorientierung eine Metamorphose vor dem Hintergrund der Zivilisationsentwicklung an der Schwelle zum 21. Jahrhundert.

Die an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert für einige wenige Menschen existenzielle Erkenntnisfrage im Hinblick auf das Selbstverständnis des Menschen und sein Verhältnis zur Welt ist an der Wende vom 20. zum 21. Jahrhundert als Lebenstatsache zur existenziellen Grundproblematik einer Zivilisation geworden. Sie spricht sich aus in dem Verlust der Kindheit, in der ökologischen Sackgasse einer hochtechnisierten Welt, in den ethischen Herausforderungen um Gentechnik und Bewusstseinsforschung, in den Verschiebungen an den Grenzen von Geburt und Tod. Diese Lebensfragen sind Gegenstand eines weltweiten Diskurses. Die Art ihrer Behandlung wird bestimmend für die Zukunft der menschlichen Existenz in einer Zeit, "die die Unmöglichkeit des Lebens zu verwirklichen begann." (Rudolf Steiner, Mein Lebensgang, GA 28, Dornach, 2000, Kap. XXIX, S. 379).