FondsGoetheanum: Saatgut betrifft uns alle

Biobaumwolle am Scheideweg

In Indien ist die Biobaumwollproduktion bedroht, denn der Anbau von gentechnisch veränderter Baumwolle ist innerhalb von 12 Jahren von 0 % auf 92 % gestiegen. Dadurch fehlt nachbaufähiges Saatgut. Den Kleinbauern wird nun geholfen, eigenes Saatgut zu produzieren.

In Indien werden Dreiviertel der globalen Biobaumwolle auf 253 000 ha von ca. 184 000 Kleinbauern pro­duziert, was etwa 2 % der gesamten Baumwollanbaufläche in Indien entspricht1). Die Zukunft der Bio­baumwollproduktion in Indien ist jedoch stark bedroht. Seit Einfüh­rung der gentechnisch veränderten Baumwolle (GVO) in Indien im Jahr 2002 hat die Anbaufläche von GVO-­Baumwolle dramatisch zuge­nommen und beträgt heute 92 %.

Wertvolle genetische Ressourcen sind verloren

Patentgeschützte GVO-­Sorten von privaten Saatzuchtfirmen verdrän­gen die Sorten aus traditioneller Züchtung und Vermehrung. Diese Überdominanz der gentechnisch veränderten Baumwolle hat dazu geführt, dass innerhalb von weni­gen Jahren der Saatgutmarkt für GVO-­freie Baumwolle völlig zu­sammengebrochen ist und viele wertvolle genetische Ressourcen lokaler Baumwollarten und Sorten verloren gegangen sind.

Die wenigen Posten von GVO-­frei­en Baumwollsamen, die noch im Handel zu finden sind, sind meist mit GVO kontaminiert und füh­ren letztendlich zur Aberkennung der Biobaumwolle und finanziellen Verlusten für den Landwirt. Die in­dischen Kleinbauern stehen somit vor der Entscheidung, entweder von Biobaumwolle auf andere Labels umzustellen, die jedoch GVO und Pestizide erlauben, andere Kultu­ren wie Soja oder Mais anzubauen oder aber zu versuchen, ihr eigenes Bio­-Saatgut zu produzieren.

Saatgut betrifft uns alle
Die Kleinbäuerinnen werden in die Züchtungstechnik eingeführt

Die Kleinbauern stärken

bioRe® India Ltd. zusammen mit Coop­-Naturaline-Lieferant Remei sind fest entschlossen, diesen Weg anzutreten und den Kleinbauern zu helfen, eigenes Saatgut herzu­stellen. Das geht jedoch nicht von heute auf morgen. Zuerst müssen geeignete nachbaufähige Sorten ge­funden werden, die gegen Schad­insekten widerstandsfähig sind, weniger Nährstoffe und Wasser be­nötigen und gleichzeitig die hohen Ansprüche an die Faserqualität der Textilindustrie erfüllen.

Das Forschungsinstitut für bio­logischen Landbau (FiBL) unter­stützt zusammen mit der Univer­sität Dharwad die Kleinbauern von bioRe bei der Durchführung von Sortenversuchen. In mehrjährigen Versuchen auf Kleinbetrieben in verschiedenen Regionen sollen ro­buste nachbaufähige Sorten identi­fiziert und anschliessend durch die Landwirte selbst vermehrt werden. Parallel dazu werden in einem par­tizipativen Ansatz neue Kreuzun­gen und Selektionen durchgeführt, damit auch in Zukunft hochwerti­ge Sorten für den Biolandbau zur Verfügung stehen. Diese Saatgut­projekte werden von der Stiftung Corymbo, der bioRe Stiftung, dem Coop Fonds für Nachhaltigkeit und der Stiftung Mercator Schweiz ge­fördert.

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Baumwollsorten auf dem Feld von Mahesh Singh Patel im Test

Die Unterschiede im Anbau

Baumwolle ist eine sehr anspruchs­volle Kultur, die viel Wasser und Nährstoffe benötigt und viele In­sekten anzieht. Obwohl Baumwolle nur 2,4 % der weltweiten Acker­fläche ausmacht, werden 11 % aller Pestizide und 24 % aller Insektizide bei der Baumwollproduktion einge­setzt. Um dem Abhilfe zu schaffen, wurde mit Hilfe der Gentechnik vor ca. 20 Jahren ein Gen des Bakte­riums Bacillus thuringensis (Bt) in das Genom der Baumwolle einge­baut.

Dieses Bt-­Gen ermöglicht es der Pflanze, einen Abwehrstoff zu pro­duzieren, der für den Hauptschäd­ling, den Baumwollkapselbohrer giftig ist. Dadurch sollte der In­sektizideinsatz verringert werden. Das ist nicht möglich, da anstelle des Baumwollkapselbohrers andere Schadinsekten wie z.B. Weichwan­zen stark zugenommen haben.

Bio-­Baumwolle wird hingegen möglichst naturnah in geschlosse­nen Kreisläufen ohne den Einsatz synthetischer Pestizide produziert. Der Verzicht auf die Insektizide verbessert die Gesundheit der Kleinbauern und verringert ihre Abhängigkeit von Krediten für Ag­rarchemikalien2).

Gentechnisch veränderte Baumwolle dominiert, die Wahlmöglichkeit schwindet

Heute wachsen auf über 70% der globalen Baumwollanbauflächen gentechnisch veränderte Baum­wollsorten, Tendenz steigend (www.transgen.de). Das heisst, dass mehr als zwei Drittel der Kleider aus Baumwolle, z.B. die Jeans, aus gen­technisch veränderter Baumwolle sind und wir keine Wahlmöglich­keit haben, da keine Deklarations­pflicht besteht.

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Erntereife Baumwollkapsel

Ohne Saatgutsouveränität keine Wahlfreiheit

Nur wenn die Kleinbauern die Saat­gutproduktion wieder unter ihrer Kontrolle haben, können sie GVO­ freie Baumwolle für den wachsen­den Biomarkt produzieren.

Dieses Beispiel zeigt, wie wichtig die Saatgutsouveränität der Bauern ist, wenn wir in Zukunft eine Wahl­freiheit haben wollen. Die züchte­rische Weiterentwicklung unserer Nahrungsmittel und Kulturpflan­zen sollten wir daher nicht nur kommerziellen Saatgutunternehmen überlassen, sondern auch als gesell­schaftliche Aufgabe zur Sicherung unserer Lebensgrundlage begreifen. Letztendlich sind es die Konsumen­ten, die entscheiden, wie in Zukunft unsere Agrarlandschaft aussehen soll.

Monika Messer
Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL) 

1) Farm & Fiber Report 2011-­12,
Textile Exchange 2013
2) Forster et al. Yield and Economic Performance 
of Organic and Conventional Cotton­based Farming Systems 
Results from a Field Trial in India. PlosOne 2013, 8(12)