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Pär Ahlbom

Als der schwedische Komponist Pär Ahlbom sich Mitte der sechziger Jahre entschliesst, keine „Werke“ mehr zu komponieren, findet dieser Schritt bei seinen Freunden und sicher auch bei manchen Komponistenkollegen wenig Verständnis. Stand er doch gerade – nach erfolgreichen Aufführungen einiger Werke – am Anfang einer viel versprechenden Komponistenkarriere. Doch komponierte Werke, abgeschlossen und nicht mehr zu verändern, und meist vor irgendeinem anonymen Publikum aufführt, schienen ihm nicht mehr an der Zeit zu sein. „Die Kunst, die heraus will“ sagte er damals mehrfach, „soll sich ins Soziale verströmen, sie soll direkt zu den Menschen kommen.“ Ihm schwebte vor, aus dem Leben und für das Leben in steter Wandelbarkeit musikalisch zu wirken. Aus Anlass seines 60. Geburtstags am 15. Juli sei hier sein musikalischer Lebensweg nachgezeichnet. 

In Stockholm als Sohn eines Architekten geboren, erlebt das Kind dort noch die letzten Reste der alten schwedischen Volksmusik: durch die Strassen ziehen Messerschleifer und singen in alten Skalen. Zu Anfang der Volksschulzeit zieht die Familie aufs Land nach Västeros am Mälersee. Neben schöne Naturerlebnisse stellen sich die Kriegsereignisses, Verdunkelung und Lebensmittelcoupons. Die ersten Nachkriegsjahre zeigen einen jugendlichen, der in abenteuerlichen Erlebnissen seine Grenzen sucht,  dem nicht der Mut fehlt zu sagen, was ihn bewegt, der auch provoziert. Ohne Abschluss verlässt er die Schule und geht für ein Jahr auf einen Kohlefrachter zur See. Für kurze Zeit studiert er an der Kunstschule in Stockholm und landet schliesslich, durch Freunde aus der Schulzeit vermittelt, in Deutschland in der Rhön. Hier zeichnet er viel, beginnt Harmonium zu spielen und findet in dem Organisten Philipp Möller aus Fulda einen Lehrer, der ihn fördert. Möller ist Hermann Heiss’ Schüler und macht ihn mit Hauers Musik bekannt, der Heiss’ Lehrer gewesen war. Bach, Bartok und Hindemith werden analysiert … die musikalische Welt beginnt sich zu entschleiern. 1954 kehrt er nach Schweden zurück und muss für ein Jahr seinen Militärdienst ableisten. Nach der Heirat – seine deutsche Frau hat er in Fulda kennen gelernt – beginnen seine Lehr- und Wanderjahre in Schweden. Zunächst als Student an der Folklinga Musik Scholan in Arvika, dann als Musiklehrer und Waldarbeiter, der sich viel mit der Natur beschäftigt, in Falun/Dalarna. Musik ist inzwischen zum Mittelpunkt des Lebens geworden – auch der Kontakt zu Deutschland bleibt bestehen. Zu den wichtigsten Ereignissen der zeitgenössischen Musik reist er dorthin. Es entstehen viele Kontakte und Freundschaften, zu Karlheinz Stockhausen, dem Aktionskünstler Nam Yun Paik und anderen. Es sind die Jahre der Suche nach neuen Wegen aus der vom Verstand überformte Nachkriegsmusik – Aleatorik und offene Formen, Happening und Fluxus bringen frischen Wind in die Kunstszene.

In Schweden hatte Pär Ahlbom inzwischen einen musikalischen Wettbewerb gewonnen. Nach seiner Musik wird ein Glockenspiel für den Rathausturm von Västeros gebaut, das man heute noch hören kann. In Falun werden erste Werke aufgeführt, Collodus II für 2 Flöten, 2 Harfen, 2 Celli, auch ein Klavierwerk Collodus III entsteht. Im Februar 1963 findet sich sein Name auf den Ankündigungen eines der ersten grossen Fluxus-Ereignisse in Deutschland, dem „Festum Fluxorum Fluxus“ in der Düsseldorfer Kunstakademie, auf dem Beuys erstmals als Aktionskünstler mit seiner „Sibirischen Sinfonie“ auftritt. Höhepunkte jener Jahre ist schliesslich die Aufführung von „Sine Nomine“ für grosses Orchester und Chor in Göteborg, die Mauricio Kagel dirigiert. Der Abend wird zu einem grossen Erfolg für Pär Ahlbom. Für dieses Werk hatte der Komponist nach Klängen gesucht, die gleichsam sphärisch von überall herkommen. Der Chor, der keinen Text singt, sondern wie ein Teil des Orchesters behandelt wird, bewältigt seinen Part nur unbefriedigend, und eine Zeitlang stand Pär Ahlbom vor der Frage, ob er nicht mit Mitteln der Technik im Elektronischen Studio dieses Problem lösen könne.

Entstanden war jenes Werk schon in Järna, wo Pär Ahlbom seit 1963 wohnte. Ein Exemplar der „Geheimwissenschaft“ in deutscher Sprache, das von unbekannter Hand eines Tages in seinem Briefkasten gelandet war, war der erste Schritt dorthin gewesen. Weiteres bewirkte eine grosse anthroposophische Tagung in Stockholm, bei der insbesondere die Eurythmie einen tiefen Eindruck hinterlässt. Als schliesslich das erste Kind schulreif wird, fällt der Entschluss, nach Järna zu ziehen, denn im schwedischen Zentrum der Anthroposophie gab es natürlich auch eine Waldorfschule. Das Haus der Ahlboms im Wald wird schnell zu einem Treffpunkt, der vielen Freunde und Künstler anzieht. Pär Ahlbom wird Mitarbeiter im Heilpädagogischen Heim Mora Park und gibt auch Musikkurse am Lehrerseminar. Erste musikalische Improvisationen werden mit der Leier versucht, einem Instrument, das er gerade kennen gelernt hat. Auch im nahe gelegenen Södertälje trifft man sich wöchentlich mit Musikern und Freuden, um musikalisch zu üben und zu experimentieren. Mit der Arbeit in Mora Park entstehen Lieder, Reigen und improvisierte Bewegungsspiele, die später in dem Liederbuch Die Sonnentrommel gesammelt werden. In jenen Jahren tritt anstelle der „Werke“ allmählich die Improvisation, und sie wird zum musikalischen Lebenselement Pär Ahlboms. Doch sollte im Improvisieren nicht dilettantische Musik in zufälliger Beliebigkeit entstehen. Auch das Strömende hat seine Gesetzmässigkeiten. „Um in der Improvisation mit Notwendigkeit zu handeln“, sagt er später einmal, „um subtil und sachlich aufeinander reagieren zu können, müssen die Sänger und Spieler ausserordentlich viel arbeiten“.

Das Leben in Järna bringt neue Bekanntschaften und Impulse. Aus der Zusammenarbeit des Holländers Norbert Visser mit dem Deutschen Julius Knierim und Pär Ahlbom entsteht der Impuls der Choroi-Instrumente, wobei der Schwede wichtige Impulse im Künstlerischen gibt. Pär Ahlbom hat noch das Glück, seine grosse Landsmännin Valborg Werbeck-Svärdström kennen zu lernen und von der Sängerin unterrichtet zu werden. Er verbindet sich mit diesem Gesangsimpuls. Schon seit Ende der sechziger Jahre hatte Pär Ahlbom auch in der Waldorfschule Järna unterrichtet. Später wirkt er dort prägend, und sie wird sein hauptsächliches Wirkensfeld. Er versucht, seine Ideale von der Erziehung durch die Künste dort zum Leben zu bringen. Im Herzen der Schule stehen die gemeinsamen Singstunden, die manchmal zu kleinen improvisierten Chorkonzerten werden. Ein die Sinne schulender musikalischer Strom zieht sich durch die ganze Arbeit, wenn es auch manchmal für deutsche Ordnungsvorstellungen bedenklich anders zugeht. Doch Liebe zu den Kindern ist ein prägendes Element. 

In den siebziger Jahren ist er auch Dozent an jener Freien Musikschule, deren Studienorte über mehrere Länder Europas verteilt sind. In der Folge wird er zu Improvisations- und Pädagogikkursen ins Ausland eingeladen und tritt mit verschiedenen Musikern in Improvisationskonzerten auf. 

Als Pär Ahlbom einmal gefragt wird, welches in der Zukunft die wichtigsten musikalischen Aufgaben seinen, nennt er die Improvisation, neue Instrumente, eine Erweiterung des Tonsystems sowie die Gesangsschulung von V. Werbeck-Svärdström.