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Genetik/ Gentechnologie

Unübersehbaren nachteiligen Folgen von GVOs

Noch immer möchten die meisten von uns glauben, dass Wissenschaft der Wahrheit verpflichtet sei. Sicher folgt eine Mehrheit der Forscher diesem Ideal - gelegentliche Betrüge werden als Ausrutscher von allzu ehrgeizigen Persönlichkeiten betrachtet. Was aber, wenn der Verdacht entsteht, dass Teile der wissenschaftlichen Gemeinde aus wirtschaftlichen Gründen systematisch unabhängige Forschung demontieren? Anders als im Betrugsfall von Einzelnen, wo lückenlose Aufdeckung des Vergehens Korrekturen verspricht, steht in der systematischen Demontage die Autonomie der Forschung selbst auf dem Spiel. Was als Therapie ansteht, ist nichts weniger als die Befreiung des Geisteslebens aus den Krallen von Staat und Wirtschaft. Echte soziale Dreigliederung wäre heute aktueller denn je! 
Seit einiger Zeit taucht in der Diskussion über den Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen ein neues Schlagwort auf: "Evidence based argumentation", was übersetzt etwa "auf Tatsachen gestützte Argumentation" bedeutet. Dagegen gibt es prinzipiell nichts einzuwenden. Wenn aber kritischen Gruppierungen selten oder nie eine Kenntnis von Tatsachen zugestanden wird,  Biotechnologen und Unternehmen, welche Organismen patentieren und vermarkten, für ihre Argumente Objektivität beanspruchen , kommen Zweifel auf. Die Kontroverse über die Einkreuzung von transgenem Mais in Landsorten im Ursprungsgebiet dieser Kulturpflanze, im Oaxaca Tal in Mexiko, lässt die Zweifel zur Gewissheit werden.

Der Umgang mit unliebsamen ResultatenIm November 2001 zeigten Quist und Chapela 1 in der angesehenen Wissenschaftszeitschrift Nature, dass im mexikanischen Oaxaca Tal die ca. 60 Landsorten, die dort noch regelmässig angebaut werden, mit gentechnisch verändertem Mais aus den USA kontaminiert worden waren. Wenn die ökologischen, landwirtschaftlichen und züchterischen Implikationen dieser Verschmutzung als bedrohlich bezeichnet werden müssen, so ist die Art und Weise, wie in der Fach- aber auch in der Tagespresse über diese Veröffentlichung debattiert wurde, schlichtweg eine Katastrophe. Die Kontroverse hinterlässt den Eindruck einer unübersehbaren Machtausweitung der multinationalen Konzerne im Kleide einer unglaublichen Arroganz.Bislang galt international als  Konsens, die Ursprungsgebiete aller Kulturpflanzen vor der Einkreuzung mit gentechnisch veränderten Pflanzen zu schützen, um die Ressourcen und den "Genpool" nicht zu gefährden. Deshalb hätte man erwarten können, dass die Konzerne, die Saatgut aus gentechnisch verändertem Mais verkaufen, mit Betroffenheit auf die Publikation reagieren würden. Doch das Gegenteil war der Fall. Arthur Einsele, verantwortlich für die Öffentlichkeitsarbeit bei Syngenta,  kommentierte den Vorfall in der Neuen Zürcher Zeitung 2 lapidar mit der Behauptung, dass die Einkreuzung von Fremdgenen einen Beitrag zur Diversität von Nutzpflanzen darstelle. Anfang 2002 publizierte "Nature" Leserbriefe namhafter Wissenschaftler, in welchen die Arbeit von Quist und Chapela als schlecht bezeichnet und die Interpretation der Daten bemängelt wurden3. Der Druck auf die Herausgeber muss gewaltig gewesen sein. Einmalig in der über hundertjährigen Geschichte der Zeitschrift kündigte die Redaktion gegen den Widerstand der beiden Autoren die Widerrufung der Arbeit an, obwohl sie zuvor allen wissenschaftlichen Standards gemäss von Experten geprüft und zur Veröffentlichung gutgeheissen worden war. 
Einige Wochen später stellte sich heraus, dass die harsche Reaktion einiger Wissenschaftler nicht nur sachlich, sondern auch politisch begründet war Es wurde bekannt, dass einige  der Leserbriefschreiber ebenso wie die Autoren des Artikels an der Universität Berkeley gearbeitet und bezüglich  des Angebotes einer millionenschweren Unterstützung durch den Schweizerischen Konzern Novartis  (nach der Fusion mit Astra Zeneca wurde der Agrobereich in die Firma Syngenta ausgegliedert) gegensätzliche Positionen vertreten hatten. Chapela hatte dieses Sponsoring bekämpft, weil  er um die wissenschaftliche Freiheit fürchtete. Fütterer, einer der Leserbriefverfasser und heute Professor an der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich, war ein vehementer Befürworteter der finanziellen Unterstützung. Obwohl die Kritiker den Schein der Sachlichkeit zu wahren versuchten, schien die Kampagne weltanschaulich geprägt. 
Dieser Verdacht verdichtete sich mit einer Hetzjagd gegen Quist und Chapela im Internet, in welcher u.a. die sofortige Entlassung der beiden Wissenschaftler gefordert wurde. In akribischer Detektivarbeit stellte ein Journalist fest, dass diese Aktion  nicht von "echten" Persönlichkeiten gestartet, sondern unter fingierten Namen von einer PR-Firma lanciert worden war, die u.a. auch für das Biotech Unternehmen Monsanto arbeitet 4. Auf der Homepage dieser PR-Firma wird unter dem Titel "Virales Marketing" eine PR Strategie beschrieben und Interessenten zum Kauf angeboten, beispielsweise mit folgenden Argumenten: "Es gibt Kampagnen, bei denen es nicht wünschbar oder sogar ein Desaster wäre, das Publikum wissen zu lassen, dass Ihre Organisation direkt beteiligt ist... In solchen Fällen ist es ratsam, Ihre Position als Botschaft von unbeteiligten Dritten präsentieren zu lassen". War der grosse Aufruhr, den die Internet-Auftritte hervorriefen, nichts weiter als das  Ergebnis einer gezielten Aktion von Interessengruppen, die in der Publikation von Quist und Chapela einen Angriff auf den kommerziellen Anbau von GVOs witterten? 
Die eigentliche BesorgnisIn einer Arbeitsgruppe während des Ifgene Workshops in Edinburgh vom 19. bis 21 September 2002 kommentierte Fernando Monasterio, der Sicherheitsbeauftragte für Biotechnologie der mexikanischen Regierung, die Ereignisse. Er skizzierte weitreichende Folgen für die mexikanische Landwirtschaft, eine Bedrohung der ländlichen Ökonomien, juristische Probleme und Konsequenzen für die spirituellen und religiösen Bräuche der Landbevölkerung  in Mexiko 5. Mit der Einkreuzung transgener Maissorten droht der Verlust der angepassten Landsorten und damit der genetischen Vielfalt. Es würde gewaltige Anstrengungen brauchen, um die genetische Verschmutzung im Oaxaca Tal rückgängig zu machen, weil man für mindestens ein Jahr auf den grossflächigen Anbau von Mais verzichten müsste. Dieser Verzicht würde allerdings nur Sinn machen, wenn die Amerikaner garantierenkönnten, GVO freien Mais für den Export nach Mexiko bereit zu stellen; diese Garantie scheint unmöglich, weil in den USA keine Trennungs- und auch keine Kennzeichnungspflicht besteht. 
Mexiko muss heute jährlich ca. sechs Millionen Tonnen Mais für Nahrungszwecke aus den USA importieren. Monasterio vermutet, dass ca. ein Drittel dieser Menge aus transgener Produktion stammt. Beunruhigend ist die Tatsache, dass der importierte Mais zu $120 pro Tonne verkauft wird, der einheimische jedoch zu $150 pro Tonne abgesetzt werden muss, um die Produktionskosten zu decken. Trotz der höheren Löhne in den USA und der Tausende von Meilen weiten Transportwege vom Maisgürtel im mittleren Westen nach Mexiko kann der amerikanische Mais dank massiver staatlicher Unterstützung billiger verkauft werden und bedroht damit die einheimische Produktion in erheblichem Masse. 
Sollte die mexikanische Regierung in Zukunft den Anbau von gentechnisch verändertem Mais bewilligen, drohen den Produzenten Gerichtsverfahren ähnlich wie in Kanada und den USA, wo Hunderte von Bauern wegen Patentverletzungen von Monsanto eingeklagt worden sind,  weil auf ihren Feldern gentechnisch veränderte Pflanzen entdeckt wurden, die durch Pollenflug und Samenverfrachtung dorthin geraten waren. 
Mais gehört neben Peyotl und dem Hirsch zu den Lebewesen, die in der mexikanischen Mythologie als "Geschenk der Götter" bezeichnet werden. Noch heute wird jedes Jahr mit Erntedank Zeremonien dieser Akt der Schenkung zelebriert. Monasterio äusserte grosse Sorgen für die Zukunft dieser sakralen Tradition; wird ihre spirituelle Grundlage gefährdet, wenn dabei  transgener Mais verwendet wird? 
Perfekte Verdunkelung Am Schluss seiner Ausführungen erwähnte Monasterio eine Untersuchung der mexikanischen Regierung, mit  der die Ergebnisse von Quist und Chapela geprüft werden sollten. Ein international anerkanntes Institut zog in einem randomisierten Versuchsdesign mit einem Netz von zehn Quadratkilometer grossen Flächen im gesamten Oaxaca Tal aus ca. 2000 Maispflanzen Proben und prüfte sie auf die Anwesenheit von Fremdgenen. In 63 Prozent der Fälle konnte eine genetische Kontamination nachgewiesen werden. Mittlerweile liegt ein schriftlicher Bericht dieser Untersuchung vor. Aus naheliegenden Gründen versuchten die Wissenschaftler, ihn ebenfalls in "Nature" zu publizieren. Die Gutachter dieser Arbeit kamen zu diametral entgegengesetzten Schlüssen. Der erste argumentierte, dass die Ergebnisse längst bekannt seien, der zweite bezeichnete die Resultate als so unerwartet und unglaublich, dass ihre Richtigkeit in Zweifel gezogen werden müsse. Was würde man in einem solchen Fall von der Herausgebern erwarten? Im Sinne einer der freien Wissenschaft verpflichteten Zeitschrift ganz sicherlich eine Publikation, besonders nach dem vorgängigen Widerruf der Arbeit von Quist und Chapela. Doch weit gefehlt - Nature verweigerte die Veröffentlichung aus "technischen Gründen". 
Der ganze Vorgang bestätigt die schlimmsten Bedenken, die gegenüber dem Anbau von gentechnisch veränderten Kulturpflanzen geäussert werden, und deckt die Rücksichtslosigkeit der amerikanischen Landwirtschafts- und Exportpolitik auf. Gentechnikfreie Produktion kann neben einer GVO Landwirtschaft nicht existieren. Vereinbarungen wie das Freihandelsabkommen zwischen Mexiko und den USA sind auf die amerikanischen Bedürfnisse ausgerichtet und bürden unliebsame Konsequenzen einseitig den anderen Vertragspartnern auf. Auf Tatsachen gestützte Argumentationen werden in der öffentlichen Debatte unterdrückt. Es entsteht der Eindruck, als ob Unternehmen, die transgene Kulturpflanzen kommerziell vermarkten, alles daransetzen, die unübersehbaren nachteiligen Folgen von GVOs auf den Erhalt der genetischen Vielfalt in den Ursprungszentren und auf die Bedrohung der lokalen landwirtschaftlichen Produktion zu vertuschen. Wissenschaft, die weltanschaulich fixierte Werturteile nicht untermauert, gilt als "schlecht". 
In dieser Situation führen individuell gefundene Bewertungen und ihre entsprechenden handlungsleitenden Motive an Grenzen. Hier ist der Staat als Repräsentant freier Bürger aufgefordert, nach zwei Seiten kollektive Moralität zu entwickeln und kollektive Verantwortung zu übernehmen, wie es Mike Radford während des erwähnten Ifgene Workshops formuliert hat. Nach der Seite der Wirtschaft, in dem Vorgänge gestoppt werden, die nachhaltige Entwicklungen in der Zukunft verunmöglichen. Nach der Seite der Wissenschaft, in dem er die Verpflichtung zur freien Erkenntnis garantiert. Vergessen wir dieses Lehrstück bei den nächsten gesellschaftlichen Diskussionen über das Thema Gentechnik und Landwirtschaft nicht!

 
1 Quist, D. und Chapela, HI.(2001): Transgenic DNA introgressed into traditional maize landraces in Oaxaca, Mexico. Nature 414, p.541
2 siehe NZZ vom 5.12.2001
4 The fake persuaders von George Monbiot, in: The Guardian vom 14. Mai 2002
5 siehe auch: "Transgenes in maize landraces in Oaxaca: Official report on the extent and implications"; "Global and multidisciplinary approach to study the feasibility of introducing transgenic landraces of maize in Mexico aimed to help small rural communities"; "Concerns about the effect of transgene introgression in maize landraces and teosinte"
6 Nature refuses to publish Mexican Government Report confirming contamination of the Mexican Maize Genome by GMOs, in Food First, USA, Press Release vom 24. Okt. 2002 
 
Johannes Wirz (2002)