Anthroposophie und Wissenschaft
Dieses Buch ist die erste gründliche Einführung in die Wissenschaftsgrundlagen der Anthroposophie und der anthroposophischen Medizin im Kontext der akademischen Wissenschaft. Dabei ermöglicht die Erkenntniswissenschaft Rudolf Steiners eine bisher kaum beachtete solide Grundierung der modernen Wissenschaften. Physik, Chemie, Genetik, Morphogenese, Biologie, Neurobiologie, Psychologie, Anthropologie und Philosophie des Geistes werden durch sie ihrer reduktionistischen Form entkleidet und bilden so die empirische Grundlage eines neuen, geistgemäßen wissenschaftlichen Verständnisses von Mensch und Natur. Das wird an aktuellen Grundfragen nach dem Wesen der Substanz, des Lebens, der Wechselwirkung von Leib und Seele und der Freiheit des menschlichen Geistes aufgezeigt. Das Resultat ist eine nicht-reduktionistische Anthropologie, die die emergenten Eigenschaften von Körper, Leben, Seele und Geist als verschiedene, aber gleichermaßen reale Wesensschichten des Menschen anerkennt. Das ist kongruent mit den grundlegenden Konzepten der Anthroposophie und anthroposophischen Medizin, aber auch mit der klassischen Anthropologie des Abendlandes. Es wird gezeigt, wie sich diese Anthropologie historisch und erkenntnismethodisch in die moderne Anthroposophie weiterentwickelt hat, und wie sich deren Erkenntnisresultate zur modernen naturwissenschaftlichen Forschung verhalten, besonders in der Medizin. Das Buch ist auch als Wissenschaftsgrundlage der Pädagogik sowie anderer Fachgebiete geeignet, die es mit dem Menschen als Ganzem zu tun haben.
Anthroposophisch erweiterte Biologie
Ausdruck des eigenen Wesens
Anthroposophisch erweiterte Biologie arbeitet mit einem differenzierten Begriff von Lebewesen. Das Lebewesen wird als ein "sich selbst erhaltendes, selbst organisierendes und gleichzeitig selbst verwandelndes Ganzes" betrachtet. Die äussere Erscheinungsform eines Lebewesens lässt sich nicht allein aus seiner genetischen Ausstattung ableiten, sondern ist auch Ausdruck des eigenen Wesens.
Erweiternde Aspekte vom Lebendigen bringt auch ein Blick in den Umkreis, beispielsweise indem der ganze Kosmos als beeinflussende und wirkende Grösse hinzugezogen und ernst genommen wird.
Weiter spielt die Dreigliederung des menschlichen Organismus, wie sie Rudolf Steiner in verschiedenen Werken beschreibt, als Schlüssel zum Verständnis der Lebewesen eine grosse Rolle.
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Der Begriff Goetheanismus bezeichnet im Bereich der wissenschaftlichen Forschung eine methodische Ausrichtung, die an den naturwissenschaftlichen Arbeiten Johann Wolfgang von Goethes (1749-1832) anknüpft. Unter der goetheanistischen Erkenntnismethode versteht man den von Vorurteilen unbelasteten Umgang mit Naturphänomenen und Experimenten. Dazu gehört, dass die sinnliche Wahrnehmung der qualitativen Eigenschaften der Phänomene geübt und geschärft wird.
Eine Schulung unserer Erkenntnisfähigkeit bedeutet neben der Sinnestätigkeit auch Klarheit und Wirklichkeitsnähe bei der Begriffsbildung.
Wirklichkeit bedeutet auch Erkennen von Zusammenhängen. Die Analyse einer Ganzheit führt zur Zersplitterung und muss wieder zur Synthese geführt werden. In der ausgebreiteten Vielheit müssen wir die lebendige Einheit sehen lernen. Goethe nennt dies das Urphänomen oder den Typus. Die Einzelphänomene sind immer ein Ausdruck des Ganzen. Dies war der ganzheitliche Ansatz, den Goethe seinen Forschungen zu Grunde gelegt hat.
Durch Wahrnehmung und Begriffsbildung wird die Erkenntnis zum persönlichen Akt. Durch den objektiven Charakter des Denkens kann aber bei ernsthafter Arbeit die Suche nach den Zusammenhängen mehr und mehr objektiven Wert gewinnen.
Die Ergebnisse hängen von der Art der Betrachtung ab
Insbesondere berücksichtigte Goethe, dass die Ergebnisse einer Untersuchung von der Art der Betrachtung abhängen. Um etwas Angemessenes über einen Gegenstand zu erfahren, muss also die Art der Betrachtung von der Art des Gegenstandes abhängig gemacht werden.
In den Wissenschaften vom Organischen, also Botanik und Zoologie, kann man seine Methode "entwickelnd" nennen, es wird untersucht, wie ein Organ aus dem anderen hervorgeht. Durch gründliches Studium der Morphologie wird das typische z.B. der Pflanzen gefunden (Urpflanze), daraus muss sich die spezielle Pflanze entwickeln lassen. Handelt es sich bei Goethe in diesem Bereich also in erster Linie um eine Morphologie, so ist es aber auch hier durchaus möglich, seine Methode z.B. auf die Physiologie auszuweiten.