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Vorwärts und rückwärts ist die Evolution immer nur Mensch

Darwinismus, Goetheanismus und Anthroposophie bilden einen methodischen Dreischritt mit zunehmender Vertiefung des Entwicklungsgedankens.
Von Prof. Dr. rer. nat. Christoph J. Hueck

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«In der lebendigen Natur geschieht nichts, was nicht in einer Verbindung mit dem Ganzen stehe, und wenn uns die Erfahrungen nur isoliert erscheinen, wenn wir die Versuche nur als isolierte Fakta anzusehen haben, so wird dadurch nicht gesagt, daß sie isoliert seien, es ist nur die Frage: wie finden wir die Verbindung dieser Phänomene, dieser Begebenheiten?»

J.W. Goethe; aus Beiträge zur Optik und Anfänge der Farbenlehre 1790-1808

Methode Goethes

Was ist Goetheanismus?

Der Begriff Goetheanismus bezeichnet im Bereich der wissenschaftlichen Forschung eine methodische Ausrichtung, die an die naturwissenschaftlichen Arbeiten Johann Wolfgang von Goethes (1749-1832) anknüpft.

Unter der goetheanistischen Erkenntnismethode versteht man den von Vorurteilen unbelasteten Umgang mit Natur- (und anderen) Phänomenen. Dazu gehört, dass die sinnliche Wahrnehmung der qualitativen Eigenschaften der Phänomene geübt und geschärft wird.

Eine Schulung unserer Erkenntnisfähigkeit bedeutet neben der Sinnestätigkeit auch Klarheit und Wirklichkeitsnähe bei der Begriffsbildung.Wirklichkeit bedeutet auch Erkennen von Zusammenhängen. Die Analyse einer Ganzheit führt zur Zersplitterung und muss wieder zur Synthese geführt werden. In der ausgebreiteten Vielheit müssen wir die lebendige Einheit sehen lernen. Goethe nennt dies das Urphänomen oder den Typus. Die Einzelphänomene sind immer ein Ausdruck des Ganzen. Dies war der ganzheitliche Ansatz, den Goethe seinen Forschungen zu Grunde gelegt hat.

Durch Wahrnehmung und Begriffsbildung wird die Erkenntnis zum persönlichen Akt. Durch den objektiven Charakter des Denkens kann aber bei ernsthafter Arbeit die Suche nach den Zusammenhängen mehr und mehr objektiven Wert gewinnen.

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Goethes Anliegen, die Betrachtungsart von der Art des zu Betrachtenden abhängig zu machen, d.h. nicht von der Suche nach Modellen auszugehen, sondern die Erscheinungen selbst sich aussprechen zu lassen, eröffnet einen Weg zu einem vertieften Naturverständnis. Dies gilt sowohl für die anorganische Natur (Farbenlehre) als auch für die Organik (Metamorphose der Pflanze). Steiner selbst hatte hier seinen Ausgangspunkt. Damit ist aber durchaus nicht gemeint, dass man bei den Erscheinungen stehenbleiben müsse, die Goethe zugänglich waren. Vielmehr erhalten gerade auch Gebiete der neueren Forschung eine wesentliche Beleuchtung. Es zeigt sich aber auch, dass die Methode Goethes eine ihr gleichsam immanente Vertiefung erfahren kann durch die Wege meditativer Schulung, wie sie in der Anthroposophie angelegt sind. In diesem Zusammenhang steht auch die Arbeit an den von Steiner vermittelten Inhalten der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft.

Sonne und Auge

Erde, ist es nicht dies, was du willst: unsichtbar
in uns erstehn? – Ist es dein Traum nicht,
einmal unsichtbar zu sein? – Erde! unsichtbar!
Was, wenn Verwandlung nicht, ist dein drängender Auftrag?


Rainer Maria Rilke, Neunte Duineser Elegie

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Das Sehen Sonne und Auge zusammen sind das Sehen. Sie können ohne
einander nicht sein. Ohne die Sonne wäre es für das Auge finster. Und ohne das Auge könnte die Sonne nichts zur Sichterscheinung bringen. Selbst ihre eigene Erscheinung bliebe ungesehen.
Die Sonne zeigt sich dem Sehen als strahlende Erscheinung. Sie wird vom Sehen als ein Erscheinendes erlebt, nicht als etwas, mit dem es wahrnimmt. Das Auge wird vom Sehen als ein die Welt Entgegennehmendes erfahren, als ein die Erscheinung Auffassendes. Das Sehen hat eine zur Erscheinung bringende und eine das Erscheinen zulassende, auffassende Seite – eine Sonne und ein Auge. Wer sieht im Sehen? Wer lebt in dem Sehen, das auf Sonne und Auge angewiesen ist? Ich!
Wo erlebt sich dieses Ich, worauf bezieht sich das Ich im Sehen? Nicht auf die Sonne, sondern auf das Auge bezieht es sich im Sehen. Es erfasst sich als die Erscheinung entgegennehmend.

>> zum gesamten Bericht von Hans-Christian Zehnter (PDF)

 

Rudolf Steiner: Grundlinien einer Erkenntnistheorie der Goetheschen Weltanschauung (GA 2), Kap. 13: Das Erkennen. Zeichnungen siehe GA 198