Zum Goetheanismus aus Sicht der Bildenden Kunst
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"Wenn es dem Menschen wirklich gelingt, sich zu der Idee zu erheben, und von der Idee aus die Einzelheiten der Wahrnehmung zu begreifen, so vollbringt er dasselbe, was die Natur vollbringt, indem sie ihre Geschöpfe aus dem geheimnisvollen Ganzen hervorgehen lässt. Solange der Mensch das Wirken und Schaffen der Idee nicht fühlt, bleibt sein Denken von der lebendigen Natur abgesondert. Er muss das Denken als eine bloß subjektive Tätigkeit ansehen, die ein abstraktes Bild von der Natur entwerfen kann. Sobald er aber fühlt, wie die Idee in seinem Innern lebt und tätig ist, betrachtet er sich und die Natur als ein Ganzes, und was als Subjektives in seinem Innern erscheint, das gilt ihm zugleich als objektiv; er weiß, dass er der Natur nicht mehr als Fremder gegenübersteht, sondern er fühlt sich verwachsen mit dem Ganzen derselben. Das Subjektive ist objektiv geworden; das Objektive von dem Geiste ganz durchdrungen."
(Aus: Goethes Weltanschauung. Dornach 1990, S. 54)
Phänomenologische Methoden
Gibt es so etwas wie einen wissenschaftlichen Zugang zum Geistigen in die Welt?
Der auf den methodischen Anregungen Goethes und Steiners gründende „Goetheanismus“ fußt auf der modernen Naturwissenschaft mit ihren durch detaillierte Analysen gewonnenen Ergebnissen. Er vermeidet aber ihre einseitig materialistisch-reduktionistische Interpretation, sondern sucht die „Phänomenologie der Natur“ durch eine Erweiterung der eigenen Erkenntnis- und Wahrnehmungsmöglichkeiten zu erfassen.
Man bleibt so zum Beispiel in der Botanik nicht bei einer rein formalen Beschreibung und beim Vergleich der einzelnen Formen stehen, sondern schreitet weiter zu einer imaginativen Charakterisierung dieser Formen innerhalb ihres Lebensumkreises. Dadurch kann ein innerer Bezug zwischen dem Betrachter und der Pflanzenwelt entstehen, welche allmählich zu einer Wesenserkenntnis führt. So erschließt sich ein Erkenntnisweg, die Mensch und Welt zugleich umfasst.
Rudolph Steiner forderte die Naturwissenschaftler immer wieder dazu auf, sich Naturprozesse beweglich vorzustellen. Hilfreich zum beweglichen Vorstellen ist das zusammenfassen äußerer Erscheinungen in Bilderreihen, die auf einem inneren Zusammenhang beruhen. An den einzelnen Erscheinungen der Pflanze (Keimen, Blatt, Stiel, Kelch, Blüte, Frucht und Same) sind die Sockelmotive im großen Saal des Goetheanums entstanden. Goethes Anschauung der "Metamorphose der Pflanze" erfasste die Kräfte die sich in den einzelnen Stadien aller Pflanzen zeigen begrifflich als Urpflanze. Die Sockelmotiove zeigen keine Blätter und Blüten, sondern gegenstandslose Zwischenstufen der Lebensgeste, die sich in den äußeren Formen der Pflanze ausspricht.
Durch solche beweglich vorgestellte Bilder, wird etwas von Naturprozessen veranschaulicht, was der rein materiellen Betrachtung unzugänglich bleibt. Diese Methode lässt sich auf verschiedenste Gebiete transferieren.