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"Lehrt man die Dinge so, dass einseitig der Intellekt des Kindes und nur ein abstraktes Aneignen von Fertigkeiten in Anspruch genommen werden, so verkümmert die Willens- und Gemütsnatur. Lernt dagegen das Kind so, dass sein ganzer Mensch an seiner Betätigung Anteil hat, so entwickelt es sich allseitig. Im kindlichen Zeichnen, ja selbst im primitiven Malen kommt der ganze Mensch zur Entfaltung eines Interesses an dem, was er tut. Aus Formen, an denen der kindlich-künstlerische Sinn des Kindes zur Geltung kommt, entwickle man die Buchstabenformen"

(Rudolf Steiner, Die pädagogische Grundlage und Zielsetzung der Waldorfschule, Dornach 1969, S.20).

Das Schulkind in den ersten Jahren

Erlebtes Tun und bildhaftes Erleben

Tafelbild mit Lehrer Till Walther, Jahrgang 1969, Waldorfleherer aus Kerspenhausen

Hier lautet die Frage: Wie kann ich das Schulkind so anregen, dass es den vorher charakterisierten eigenen seelischen Erlebnisbereich ausbildet? Wie kann ich den Lernprozess so veranlagen, dass er vom Herzen ergriffen werden kann?

Am Beispiel des Schreib- und Lesenlernens sei dies veranschaulicht: "Lehrt man die Dinge so, dass einseitig der Intellekt des Kindes und nur ein abstraktes Aneignen von Fertigkeiten in Anspruch genommen werden, so verkümmert die Willens- und Gemütsnatur. Lernt dagegen das Kind so, dass sein ganzer Mensch an seiner Betätigung Anteil hat, so entwickelt es sich allseitig. Im kindlichen Zeichnen, ja selbst im primitiven Malen kommt der ganze Mensch zur Entfaltung eines Interesses an dem, was er tut. Aus Formen, an denen der kindlich-künstlerische Sinn des Kindes zur Geltung kommt, entwickle man die Buchstabenformen" (Rudolf Steiner, Die pädagogische Grundlage und Zielsetzung der Waldorfschule, Dornach 1969, S.20). Tatsächlich hat sich die Schrift ja auch aus dem Bild und magischen Zeichen entwickelt (vgl. Karely Földes-Papp, Vom Felsbild zum Alphabet, Stuttgart 1966).

Erlebtes Tun und bildhaftes Erleben sowie eine reiche Gedächtnisbildung sind die Voraussetzungen für das gedankliche Verstehen in höheren Klassenstufen. Das Bild ist für das Erleben, was der Begriff für das Erkennen ist. So bildet das Kind, z.B. durch den Erzählstoff vom Märchen über Legenden und Sagen bis zur Geschichte und Biographie einen inneren Bilderschatz aus, der die Grundlage für begriffliche Zusammenhänge in späteren Stufen bildet.

Mit der Vorpubertät beginnt das kritische Denken zu erwachen; die Kinder brauchen nun entsprechende Anregungen zur allmählichen Ausbildung des eigenen Urteilsvermögens. Es ist der Uebergang vom mehr gedächtnismässigen Lernen zum begrifflichen Erfassen. Diesen Uebergang hat Jean Piaget besonders eindrücklich beschrieben (Jean Piaget, Theorien und Methoden der modernen Erziehung, Frankfurt 1974, S.204 ff). Kausalität lässt sich am besten an der toten Natur erfassen. Physik tritt als neues Fach in der 6.Klasse hinzu. Die Unterrichtsmethode folgt dabei dem natürlichen Erkenntnisprozess: Der Weg führt vom exakt zu beobachtenden erfahrbaren Phänomen zum gedanklichen Verstehen. Es soll daher nicht bloss auf fixierte Begriffsdefinitionen abgezielt werden, sondern auch auf lebendige Vielfalt. Anschauung ist der Beginn, begriffliches Erkennen der Abschluss des Prozesses. Das Ziel dabei ist es, anstatt zu einer Antwortkultur zu erziehen, eine Fragehaltung, die das Interesse noch lebendig erhält, anzuregen. Es geht auf allen Stufen darum, eine emotionale Beziehung zu dem Lernstoff zu vermitteln und dadurch die Lernmotivation zu verstärken.

Zimmermann, Heinz: Waldorf-Pädagogik weltweit, Hrsg: Freunde der Erziehungskunst, 2001.