"Es ist aber das Ideal der Erziehungs- und Unterrichtspraxis, in dem Kinde den Sinn dafür zu wecken, dass es mit demselben Ernste lernt, mit dem es spielt, solange das Spielen der einzige seelische Inhalt des Lebens ist. Eine Erziehungs- und Unterrichtspraxis, welche dies durchschaut, wird der Kunst die rechte Stelle anweisen und ihrer Pflege die rechte Ausdehnung geben"
(Rudolf Steiner: Pädagogik und Kunst, in: Der Goetheanumgedanke, GA 36, S.290)
Erziehung durch Kunst
"Es gibt keinen anderen Weg, den sinnlichen Menschen vernünftig zu machen, als dass man denselben zuvor ästhetisch macht". Schillers Briefe der ästhetischen Erziehung
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Steiner begriff die gesamte von ihm inspirierte neue Pädagogik als Kunst. Eine »Erziehungskunst« möge in der 1919 beginnenden Schulform um sich greifen. Mit diesem Anspruch traf Steiner bei den Pädagogen der damaligen Zeit auf Verwunderung und trifft damit auch heute noch auf Unverständnis. Steiner rief die Lehrer der Waldorfschule dazu auf, nicht Definitionen an die Schüler heranzutragen, sondern mit ihnen lebendige Begriffe zu entwickeln. Er schickte sie damit auf die Suche nach einer Begriffsbildung, die sich mit dem Heranwachsenden entfaltet. Dabei muss ein Lehrer in der Begegnung mit Kindern auf das Unerwartete gefasst sein. Kaum einer beschreibt dieses Wagnis besser als Pablo Picasso: »Ich suche nicht – ich finde. Suchen, das ist ein Ausgehen von alten Beständen und ein Findenwollen von bereits Bekanntem im Neuen. Finden, das ist das völlig Neue, das Neue auch in der Bewegung. Alle Wege sind offen, und was gefunden wird, ist unbekannt. Es ist ein Wagnis, ein heiliges Abenteuer.
Die Ungewissheit solcher Wagnisse können eigentlich nur jene auf sich nehmen, die sich im Ungeborgenen geborgen wissen, die in die Ungewissheit, in die Führerlosigkeit geführt werden, die sich im Dunkeln einem unsichtbaren Stern überlassen, die sich vom Ziele ziehen lassen und nicht – menschlich beschränkt und eingeengt – das Ziel bestimmen. Dieses Offensein für jede neue Erkenntnis, für jedes neue Erlebnis im Außen und Innen, das ist das Wesenhafte des modernen Menschen, der in aller Angst des Loslassens doch die Gnade des Gehaltenseins im Offenwerden neuer Möglichkeiten erfährt.«
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»Jeder Mensch ist ein Künstler. Damit sage ich nichts über die Qualität. Ich sage nur etwas über die prinzipielle Möglichkeit, die in jedem Menschen vorliegt. Das Schöpferische erkläre ich als das Künstlerische, und das ist mein Kunstbegriff.« Joseph Beuys
Musikalischen Erziehung als Förderung der Intelligenz
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Am besten untersucht und dokumentiert ist die Bedeutung der musikalischen Erziehung als Förderung der Intelligenz und namentlich der Sozialkompetenz (Ernst Waldemar Weber, Musik macht Schule, Essen 1993). In seinem viel gelesenen Buch "Emotionale Intelligenz" (München 1996) zeigt der Amerikaner Daniel Goleman eindrücklich, wie wichtig eine gründliche Erziehung des emotionalen Bereiches in unserer heutigen gewaltbereiten Gesellschaft ist. Gesteigerte Wahrnehmungsfähigkeit, Stilgefühl und Qualitätsempfinden, aber auch die Förderung des individuellen Ausdruckswillens sind wirksame Elemente, um die emotionale Intelligenz ausbilden zu können; und es sind Elemente, welche durch die künstlerische Betätigung entwickelt werden, auf jeder Altersstufe mit einem anderen Schwerpunkt.
Der Naturwissenschaftler Klaus Michael Meyer-Abich schreibt in einem Aufsatz: "Aesthetische Erziehung als Bildung der Wahrnehmungs- und Erlebnisfähigkeit verstanden, ist die entscheidende Voraussetzung einer wahrnehmenden Verantwortung und verantwortlichen Wahrnehmung der natürlichen Mitwelt und unserer Umwelt. Wäre unsere ästhetische Urteilskraft nicht durch die Degeneration der Wahrnehmungs- und Erlebnisfähigkeit verkümmert, hätte es nicht im heutigen Umfang zu den gewalttätigen Zerstörungen durch das Industriesystem kommen können" (Klaus Michael Meyer-Abich: Dreissig Thesen zur praktischen Naturphilosophie, in: Ethik der Wissenschaften, München 1986, S.105).
Howard Gardner zeigt in seinem Buch "Abschied vom IQ" als Ergebnis seiner jahrelangen Forschungen, dass wir mit dem traditionellen Intelligenzbegriff, der mit dem Intelligenzquotienten abgestimmt wird, nicht auskommen, dass dieser der im Leben tatsächlich erforderlichen Intelligenzen keineswegs entspricht. Für ihn gehört, was sich in der Musik oder im Umgang mit dem eigenen Körper ausspricht ebenso zur Intelligenz, wie die Fähigkeit, mit sich selber und mit anderen umzugehen. Ausserdem sind die beiden letztgenannten Fähigkeiten, Selbst- und Sozialkompetenz Schlüsselqualifikationen in der heutigen Arbeitswelt (Howard Gardner, Abschied vom IQ - Die Rahmentheorien der vielfachen Intelligenzen, Stuttgart 1994.
Die Waldorfschule ist das erste Schulmodell, das solche Erkenntnisse seit Jahrzehnten konkret umzusetzen versucht.