FondsGoetheanum: Rudolf Steiner

«Bienen als Vorbild für Gemeinschaftssinn.»

«So können sich die Bienenzüchter zwar ausserordentlich freuen über den Aufschwung, den seit kurzer Zeit die Bienenzucht genommen hat; aber diese Freude, die wird keine hundert Jahre halten.» Rudolf Steiner

Kosmische Kräfte im Bienenvolk

Aus heutiger Perspektive war es ein Glücksfall, dass ein Imker 1923 Rudolf Steiner fragte, wie er über die damals gerade erfundene künstliche Königinnenzucht denke. Diese Frage veranlasste ihn, den Arbeitern am Goetheanum in acht Vorträgen ein buntes und differenziertes Bild über das Leben und Wesen der Bienen zu entfalten.

Rudolf Steiner sah diese Züchtungsmethode sehr kritisch. Seine Ausführungen waren für die Bauarbeiter am Goetheanum eine Zumutung im doppelten Sinne: Er skizzierte das Bienenvolk als Organismus und bezeichnete die drei Bienenwesen Arbeiterinnen, Königin und Drohnen als dessen Zellen. Er sprach von der Verletzlichkeit des Volkes, das als «Kopf ohne Schädel» betrachtet werden müsse, und wurde nicht müde, den Zuhörern das Wirken von kosmischen Kräften nahezubringen.

Man könnte seine Gedanken als Überforderung sehen. Doch ebenso gut kann die Zumutung positiv gedeutet werden. Er vertraute auf ein verstehendes Gespür bei den Bauarbeitern! Seine Frau schreibt, er habe ihr gesagt, dass er die Arbeiter in die neue Wissenschaft des Werdenden im Gegensatz zur alten des Gewordenen einführen wolle. Nicht zuletzt deshalb weht wohl in den Vorträgen über die Bienen ein Hauch von Leichtigkeit, Enthusiasmus und Freude.

Die wesensgemässe Bienenhaltung

Zu Beginn der 1990er-Jahre, 30 Jahre nach der ersten Veröffentlichung der Vorträge, fingen Imker an, die Ausführungen Steiners in der imkerlichen Praxis umzusetzen. Sie waren sich bewusst, dass «wesensgemäss» nicht naturnah, sondern menschennah gestaltet sein muss. Das gilt für alle Haus- und Nutztiere gleichermassen. Wir haben sie domestiziert und sind nun dafür verantwortlich, dass wir ihren zentralen Lebens- und Verhaltensweisen Genüge tun. Diese Aufgabe wurde in den Richtlinien der Demeter-Bienenhaltung festgeschrieben.

Die wichtigsten Punkte dieser Richtlinien: Die Völkervermehrung darf nur im Schwarmprozess erfolgen, wenn junge Königinnen erbrütet werden, also lediglich von April bis Mitte oder Ende Juni. Die jungen Völker müssen oder dürfen ihr Wabenwerk im Naturbau errichten. Mittelwände, d. h. vorgefertigte Wachsplatten, sind verboten. Die Absage an die künstliche Königinnenzucht führt dazu, dass junge Königinnen vom heimatlichen Bienenstand aus auf ihre Begattungsflüge gehen, wo sie sich am liebsten mit 15-20 verschiedenen Drohnen verpaaren. In der Imkersprache heisst das Standbegattung.

Mit diesen Vorgaben wird versucht, den elementaren Lebensäusserungen des Bienenvolkes Rechnung zu tragen!

Erfolge wissenschaftlich belegt

Die Kritik von Seiten konventioneller und biologisch zertifizierter Imker ist nicht angebracht. Wissenschaftliche Studien haben die Vorteile der wesensgemässen Bienenhaltung immer wieder bestätigt. Das Schwärmen der Bienen hat eine kürzere oder längere Brutpause zur Folge: Der sogenannte Vorschwarm mit der alten Königin muss zuerst ein neues Wabenwerk errichten, bevor die Königin wieder Eier legen kann. Im Nachschwarm oder im Restvolk vergehen ca. 14-20 Tage, bevor die jungen Königinnen anfangen, Eier zu legen. Die Brutpause führt zu einer signifikanten Reduktion aller Brutkrankheiten und damit zu einer Gesundung des Volkes. 6)

Der Naturbau mit dem durch die Bienen neu gebildeten Wachs bringt es mit sich, dass Rückstände von fettlöslichen Pestiziden und Fungiziden aus der konventionellen Landwirtschaft im Wachs auf ein Minimum reduziert werden. In der konventionellen Imkerei dagegen mit einem sogenannten geschlossenen Wachskreislauf, wo alte Waben immer wieder zur Herstellung von Mittelwänden verwendet werden, akkumulieren die Pflanzenschutzmittel 7). So kann z. B. DDT, dessen Einsatz in den 70er-Jahren des letzten Jahrhunderts per Gesetz verboten wurde, bis heute im Wachs nachgewiesen werden!

Die Standbegattung ist die Antwort auf die künstliche Königinnenzucht und führt zu einer immer besseren Anpassung der Völker an den jeweiligen Standort.

Eine Studie mit mehr als 600 Völkern, die eine Hälfte lebte und schwärmte vier Jahre oder länger am gleichen Standort, also ohne zugekaufte Königinnen, die andere Hälfte mit zugekauften und deshalb ortsfremden Königinnen, hat gezeigt, dass die lokal angepassten Völker in Sachen Gesundheit, Resistenz gegen Krankheiten, Lebensdauer, Sanftmut und Honigertrag denjenigen mit fremden Königinnen überlegen waren. 8)

Schliesslich gibt es überall in Europa Imker, die seit mehr als 10 Jahren keine Behandlung gegen die bedrohliche Varroa-Milbe mehr durchzuführen brauchen. Die Resistenz gegen den Parasiten zeigt sich in allen Fällen nur bei standortangepassten Völkern 9). Die seit 40 Jahren bestehenden Bemühungen, Varroa-Resistenz mit künstlicher Königinnenzucht zu erreichen, blieben bisher ohne Erfolg.

Die Bienen und das Soziale

Rudolf Steiner weist darauf hin, dass im Bienenvolk nur die Königin «Liebe» in der Geschlechtlichkeit aufgehen lässt. Weil alle ihre Töchter auf die Zeugung von Nachkommen verzichten, strömt ihre «Liebe» frei durch den Bienenstock und hält das Volk als Ganzes in einem innigen Zusammenhang. Liebe ist unsichtbar für die Sinne, jedoch fühlbar im Herzen oder der Seele. Erst wenn die Herzverbindung mit den Bienen gelingt, wird das Bienenleben für uns beobachtbar.

Jedes Mal, wenn ich in meinen Völkern eine Wabe ziehe, bin ich von der Schönheit und der Harmonie, die die Bienen ausstrahlen, bezaubert. Emsig und ohne Zeichen von Stress gehen sie ihren vielfältigen Aufgaben nach. In ihrer Biografie putzen die Jüngsten die Zellen nach dem Schlüpfen ihrer Schwestern; andere füttern die weissen Larven im Brutnest, andere sind mit dem Wabenbau beschäftigt und helfen später, den leicht verderblichen Nektar in Honig umzuwandeln, ein Produkt der Ewigkeit. Honig aus Pharaonengräbern ist auch heute noch geniessbar! Gegen das Ende der ersten 21 Lebenstage werden die Bienen zu Wächterinnen am Flugloch, bevor sie bis zum Lebensende Pollen und Nektar sammeln. Anders als in Werkstätten oder Büros gibt es im Bienenvolk keine Kontrollen, jede Biene arbeitet im Vertrauen, dass alle im Dienst für das Ganze ihr Bestes geben. Und in jedem Augenblick teilen sie vorbehaltlos alle vorhandenen Vorräte. Es ist bestürzend und ergreifend zu beobachten, dass bei akutem Futtermangel die Tiere im Volk kollektiv sterben.

Teilen im Blick auf die Gemeinschaft ist ihnen angeboren. Müssen lebenswichtige Entscheide getroffen werden, z. B. wenn ein Bienenschwarm eine neue Behausung sucht, werden Prozesse in Gang gesetzt, die in einem offenen «Austausch» zur bestmöglichen Wahl führen. Und schliesslich ist in der Volksgemeinschaft das Miteinander so perfekt entwickelt worden, dass eine Biene – Königin, Arbeiterin oder Drohne – alleine nicht überleben könnte.

Kulturimpuls

Rudolf Steiner sagte einmal, dass das Bienenvolk ein Bild für die zukünftige Gestaltung menschlicher Gemeinschaften zeige. Was ist dran? Wie die Bienen sind auch wir Menschen für Leben und Gedeihen auf Gemeinschaften angewiesen. Die grundlegenden Fähigkeiten des Gehens, Sprechens und Denkens könnten ohne Familie und Mitmenschen gar nicht ausgebildet werden. Und wenn wir einmal beim Frühstück überlegen, wie viele Menschen von der Produktion über die Verarbeitung bis zum Handel beteiligt waren an Brot, Ei, Kaffee, Müesli und Milch sowie Butter und Käse, erleben wir, dass wir im Alltag stets auf andere angewiesen sind. Sie ermöglichen meine Freiheit und Tatkraft, die auch wieder in die Gemeinschaft zurückfliesst.

Dr. Johannes Wirz,

Goetheanum, Biologe und Imker

 

Fotos: Johannes Wirz

«Nichts gleicht der Seele so sehr wie die Biene, sie fliegt von Blüte zu Blüte wie die Seele von Stern zu Stern, und sie bringt den Honig heim wie die Seele das Licht.» Victor Hugo

 

Quellenangaben



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