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Dreigliederung – was zu beachten ist
Wo immer Heilmittel produziert und verpackt werden, finden mehrfachgefaltete, kleinbedruckte Blätter Eingang in die Verpackung. Sie werden Beipackzettel genannt. Sie sollen den Empfänger des Heilmittels über die Anwendung und über Risiken, Wirkungen und Nebenwirkungen aufklären. Dreigliederung des sozialen Organismus ist ein Heilmittel für die Gesellschaft.
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Nicanor Perlas - Ein Freund und großer Dreigliederer ging über die Schwelle
Nicanor stand für ein globales, modernes, dynamisches und integrierendes Dreigliederungsverständnis. Gestern früh (Ortszeit) überschritt er in Bulacan (Philippinen) die Schwelle zur geistigen Welt.
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Die Jugendsektion in L'Aubier
Die Schweizer Berge mit ihrem saftigen Grün, dem tiefblauen Neuenburger See und den weiß schimmernden, schneebedeckten Gipfeln in der Ferne, empfingen uns ebenso herzlich, wie Marc Desaules, Mitgründer von L’Aubier, im dortigen Biohotel.
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transparenz 90
In dieser Ausgabe haben wir einige Neuerungen umgesetzt: eine Gastkolumne – in dieser Ausgabe von Melanie Gajowski – und einen Kundenbeitrag. Der Schriftsteller und Kunde Ralph Schröder berichtet von seinem Weg zu unserer Bank. Unter dem Titel «Frag’ Jonas» haben wir eine neue Rubrik eingeführt
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Nachruf Daniel Maeder
Im Gedenken an Daniel Maeder und voller Respekt für sein Lebenswerk
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Film: Land in Sicht
Die Spekulation mit Grund und Boden treibt die Bodenpreise in die Höhe und verschärft die soziale Ungerechtigkeit am Wohnungsmarkt. Das Ziel der Stiftung Edith Maryon ist es, Boden der Spekulation zu entziehen und diesen für soziale, landwirtschaftliche und kulturelle Nutzungen zur Verfügung zu stellen.
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transparenz Nr. 89
Was bringt Menschen dazu, scheinbar Unmögliches zu denken und dann auch zu realisieren? In unserer neuen «transparenz» lesen Sie wieder Geschichten von Menschen, die an ihre Ideen glauben und viel Kraft und Mühe investieren, um sie umzusetzen.
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Dreigliederung – was zu beachten ist
Ein Beipackzettel

Dreigliederung des sozialen Organismus ist ein Heilmittel für die Gesellschaft. Sie ist kein Heilmittel, das man einfach einnehmen kann – und alles ist gut. Auch bei der Dreigliederung ist einiges zu beachten. Solche Punkte zu nennen, ist der Zweck dieser Ausführungen. An die Stelle von Risiken, Wirkungen und Nebenwirkungen setze ich hier das Wort «Stolperstein». Auch Stolpersteine haben die Funktion, Aufmerksamkeit zu wecken und dem Verstehen auf die Sprünge zu helfen.
«Dreigliederung» oder «Dreigliederung des sozialen Organismus»
Bevor ich mich daran mache, die angetönten Fragen zu diskutieren, eine Anmerkung zum Titel: Ich habe nicht der Kürze wegen den präzisierenden Zusatz «des sozialen Organismus» weggelassen. Dies hat auch nicht damit zu tun, dass man sich die Präzisierung in der «Szene» oft erspart oder auf die eigentlich nicht korrekte Formulierung «soziale Dreigliederung» ausweicht. Dies hat damit zu tun, dass es – wie mir scheint – immer wichtiger geworden ist darauf hinzuweisen, wie stark Rudolf Steiner Dreigliederung als Prinzip nicht nur der menschlich-individuellen, sondern ebenso der sozialen Inkarnation betonte. Jede Inkarnation hat die Polarität zwischen Geistigem und Irdischem («Himmel und Erde») zu meistern. Sie erreicht dies nur in der rhythmisch gestalteten Auseinandersetzung der Pole, die zur Ausbildung einer Mitte führt. Polarität und Mitte ist ein Bild, das, immer wieder vor Augen geführt und empfunden (meditiert), das Verständnis der Dreigliederung des sozialen Organismus enorm erleichtern und verbessern kann.1
Mit dieser Polaritäten-Betrachtungsweise werden auch einige Fragen unmittelbar beantwortet, zum Beispiel: Weshalb drei und nicht z.B. vier oder sechs? Mit Polarität und Mitte ist auch ausgedrückt, dass es sich nicht um drei nebeneinandersituierte Funktionen gleicher Qualität und mit untereinander vergleichbaren Beziehungen handelt. Das Bild des dreigegliederten menschlichen Organismus ist ausserdem ein Hinweis darauf, wie eng verschränkt die Prozesse der drei Teilsysteme sind. So ist beispielsweise jeder Nerv (Sinnes-Nerven-System) auf seine Versorgung durch das Stoffwechselsystem angewiesen. Das Bild des wirklich angeschauten menschlichen Organismus kann einen davor bewahren, den sozialen Organismus zu «dreiteilig» zu denken.
- Stolperstein: Modell, Konzept?
Dieses «Modell» der menschlichen Dreigliederung, die mit den drei Bereichen Nerven-Sinnes-System, Stoffwechsel-Gliedmassen-System und Zirkulationssystem oder Rhythmisches System (Atem / Blutkreislauf) hat Rudolf Steiner erst wenige Jahre vor der öffentlichen Darstellung in Vorträgen zur «Sozialen Frage» erstmals ausgeführt und darauf hingewiesen, dass diese Darstellung erst nach dreissig Jahren Arbeit möglich geworden sei. (Daran sei erinnert, wenn die drei sozialen Bereiche oder deren Zuordnungen Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit sehr selbstverständlich und leichthin aufgezählt werden.)
Die Beschreibung der drei Bereiche ist Resultat langjähriger Beobachtung. Nun scheint sie zum Konzept oder Modell geronnen zu sein, aus welchem man Postulate ableiten und in eine Welt hinaustragen kann, die offensichtlich nicht nach den drei Prinzipien funktioniert. Wo eine solche Haltung eingenommen wird, entstehen Probleme vor allem dann, wenn Dreigliederung auf die Begeisterung von Menschen stösst, die vom Hintergrund, wie er eben kurz skizziert wurde oder der Anthroposophie selber wenig wissen. Dann wirkt sie fast zwangsläufig als Modell oder gar Utopie und tendiert zu Dogmatismus, einer unfruchtbaren Haltung im Diskurs.
- Stolperstein: Dreigliederung als Erfahrungswissenschaft
Rudolf Steiner hat – wie erwähnt – eine immense (empirische) Forschungsarbeit geleistet. Auf diesen kann / soll man sich nicht ausruhen. Denn in der öffentlichen Diskussion lässt sich allein mit dem Verweis auf Steiner nicht überzeugen. Menschen aus anderen Berufen oder Wissenschaftsdisziplinen mögen fragen, weshalb denn Wissenschaften wie Soziologie oder Ökonomie nicht längst selber Ansätze einer Dreigliederung des sozialen Organismus entwickelt hätten, wenn diese Struktur so grundlegend sein soll. – Haben sie: André Bleicher untersucht2, inwiefern soziologische Klassiker zu ähnlichen funktionalen Differenzierungen gelangt sind. (Das Attribut funktional ist hervorzuheben, weil in der Soziologie die Differenzierung nach Schichten schon immer ein beliebter und deshalb dominierender Untersuchungsgegenstand war.) Noch nicht zu den untersuchten Autoren bei Bleicher im genannten Beitrag gehört Niklas Luhmann. Hier sei er in einigen zusammenfassenden Worten zitiert – wörtlich, weil hier nicht (statische) Systemmerkmale, sondern Vorgänge zur Charakterisierung und Abgrenzung der (drei!) beschriebenen Teilsysteme dienen: Das Wirtschaftssystem sieht Luhmann im basalen Zirkel der Zahlungsvorgänge: «Von Zahlung zu Zahlung laufe der Prozeß der Wirtschaft und das schließe die Grenzen dieses Teilsystems ab.» «Im Rechtssystem laufe das Prozessieren der Normativität im geschlossenen Kreis von Norm zu Norm …; im Wissenschaftssystem lasse sich der basale Zirkel im Kreis von Erkenntnis zu Erkenntnis finden … oder in einer modifizierten Weiterentwicklung dieses Gedankens: von Publikation zu Publikation.»3
Was unter Erfahrungswissenschaften zu leisten wäre, ist mit Literaturstudien nicht abgedeckt. Hierher gehören vor allem auch die unmittelbaren Erfahrungen, die ein wacher Geist fast auf Schritt und Tritt in seinem unmittelbaren Umfeld machen kann. Beispiele folgen im dritten Abschnitt zu den erlernten Vorstellungen.
- Stolperstein: Erlernte Vorstellungen
Wir wachsen in einer (sozialen) Umwelt auf, die durch unzählige Entwicklungen und Entscheidungen unserer Vorfahren geprägt ist. Im einen Staat trennen sich die Menschen nur schwer von überlieferten Strukturen und Bräuchen, im anderen Staat herrscht ein rationales Denken vor, das vieles einheitlich regelt. Für die in den jeweiligen Umgebungen aufgewachsenen Bürger ist das Überlieferte fraglos gegeben – und für uns alle sind die Staatsgrenzen selbstverständlich, auch wenn sie heute durchlässiger sind als früher. Mit den Staatsgrenzen verbunden ist die Nation und ein Gefühl, das einen mit der eigenen Fussballmannschaft mitfiebern lässt. – Und wenn man sich dann zur Dreigliederung Gedanken macht, dann dürften sich diese meist auch innerhalb solcher Grenzen entfalten. Der Gedanke, dass sich die Schulgemeinde, soweit es eine solche überhaupt noch gibt, überhaupt nicht mehr um die Grenzen der politischen Gemeinde kümmert, sondern diese nach ganz anderen Kriterien zieht oder überhaupt keine (geografischen) Grenzen mehr kennt, bereitet vielleicht schon etwas Mühe.
Dabei leben wir längst mit dem Phänomen sich überschneidender Grenzen – soweit diese nicht ohnehin allen bisherigen Reform- und Rationalisierungsversuchen widerstanden haben. Eine Entwicklung der Entflechtung beziehungsweise Differenzierung in modernen Staaten beschreibt der Ökonom Bruno S. Frey. Er nennt sie «Functional overlapping and competing jurisdictions»4 Gemeinden und teilweise auch übergeordnete staatliche Einheiten sind längst dazu übergegangen, bestimmte Probleme überregional-grenzüberschreitend zu lösen, typischerweise zum Beispiel Entsorgung und Abwasser-Reinigung. Für ähnliche Kooperationen kommen auch andere (heute) staatliche Dienstleistungen in Frage, wie z.B. weiterführende Schulen.
In der Theorie des Lernens gibt es den Begriff des Unlearning. Wer sich unbefangen mit neuen sozialen (wirtschaftlichen und politischen) Formen und Prozessen befassen will, muss entdecken, was noch als Selbstverständlichkeit im eigenen Vorstellungs- und Wissensbereich verharrt und die Beweglichkeit, neue Strukturen und Prozesse zu denken, behindert.
Zusammenfassend zu 2 und 3:
Zu sehr dispensieren sich Dreigliederer meines Erachtens von eigener empirischer Forschungsarbeit. (Steiner-Exegese gibt ja schon reichlich zu tun.) Wo dies der Fall ist, verpasst man leicht den Anschluss an Forderungen oder gar Entwicklungen, die durchaus mit der Dreigliederung korrespondieren. Dreigliederer sind deshalb oft nicht in der Lage, mit diesen ins Gespräch zu treten und marschieren etwas autistisch nebenher. Wirtschaft beispielsweise ist eben nicht nur Wettbewerb, Kampf aller gegen alle. Das Streben nach Zusammenarbeit ist an vielen Stellen ein wichtiges Bestreben – und wird früher oder später durch die Kartellbehörde abgeblockt.5 Assoziationen müssen nicht erst konstruiert werden. Es gibt sie in Ansätzen schon längst.
- Stolperstein: Umsetzungsideen und -kritik
Es ist zweifellos ein sehr menschliches Bedürfnis, etwas Vollkommenes zu schaffen, also sich modellhafte Einrichtungen auszudenken und zu konstruieren, von denen man sagen kann: das ist nach den Prinzipien der Dreigliederung errichtet. Und es ist viel schwieriger zu ertragen, einen Kompromiss einzugehen, auch wenn man daran glaubt, dieser könnte in Richtung einer funktionalen Differenzierung im Sinne der Dreigliederung gehen. Beispiel Entwicklung von der (staatlichen) Objekt- zur Subjektfinanzierung. Für Subjekt- und Objektfinanzierungen gibt es viele Beispiele im staatlich finanzierten Ausbildungs- und Sozialwesen. Objektfinanzierung liegt dann vor, wenn eine Institution (Heim für Menschen mit Unterstützungsbedarf) staatlich finanziert ist und eine Behörde den / die Einzelnen anweist, bei welcher Institution er / sie seine bzw. ihre Leistung zu beziehen hat – sei es nun Ausbildung, medizinische Versorgung, Kindertagesstätte oder Altenheim. Subjektfinanzierung liegt dann vor, wenn das Subjekt (der einzelne Mensch oder sein rechtlicher Stellvertreter) die Finanzierung (oder einen Gutschein) gewissermassen in die Hand gedrückt erhält und er/sie selber entscheiden kann, bei welcher Einrichtung er/sie die Leistung bezieht.
Vor einiger Zeit führte ich einen Briefwechsel mit einem Kritiker der Subjektfinanzierung (Bildungsgutschein). Kritikpunkt: Es ist immer noch der Staat, der die Einrichtungen bezeichnet bzw. akkreditiert, welche mit solchen Gutscheinen finanziert werden können. Damit ist die Freiheit des Geisteslebens nicht verwirklicht.
Ja, das trifft zu. Aber kann oder darf man sich denn die «Umsetzung der Dreigliederung» nur als einen Sprung vorstellen? Die soziale Wirklichkeit ist derart komplex und die daran Beteiligten sind derart vielfältig, dass es wohl immer nur gelingen kann, sich auf einzelne Prozesse, Schritte oder Prinzipien zu einigen, auf den Bildungsgutschein, nicht gleich auf die Freiheit des Geisteslebens. Der Bildungsgutschein kann dem Empfänger die Erfahrung verschaffen, wählen zu dürfen, nachdem bisher immer über einen verfügt worden ist. Dies ist ein Lern-/Erfahrungsprozess. Solche sind ganz generell Voraussetzung jedes Transformationsprozesses.
Kritik an Ideen oder Schritten, auch beispielsweise an neuen gesetzlichen Vorgaben, ist selbstverständlich sinnvoll. Die Kritik sollte sich aber nie an einem absoluten Massstab (Dreigliederungskriterien erfüllt? ja/nein) messen, sondern immer auch das Entwicklungspotential und die Entwicklungsoptionen einbeziehen (fördernd / behindernd?).
- Stolperstein: «Autismus»
Im Abschnitt «Zusammenfassung zu 2 und 3» habe ich bereits festgestellt, wie leicht man den Anschluss an Forderungen oder gar Entwicklungen, die durchaus mit der Dreigliederung korrespondieren, verlieren könne, was zur Folge habe, dass man «etwas autistisch nebenher» laufe.
Autismus ist wohl ein Grundzug anthroposophischer Bestrebungen (und ohnehin jeder geistigen Aktivität). Mein Bild für diese Art von Autismus: der Organist, der allein auf der Orgelempore der leeren Kathedrale übt. Autismus auch da, wo man es nicht schafft, den Austausch mit anderen zu finden. Da befindet man sich halt in der Diaspora, damit immer ein wenig bedrängt von einer nicht besonders freundlichen Umwelt. Umso mehr freut man sich, sich mit Gleichgesinnten zu treffen. Doch gerade die Dreigliederung des sozialen Organismus wird weder am Goetheanum noch in der Zweigveranstaltung in erster Linie vorangebracht. Wie anspruchsvoll das Schaffen von Kontakt und Austausch mit mindestens punktuell Gleichgesinnten aus eher «fremden» sozialen und politischen Zusammenhängen ist, ermisst man wohl nur, wenn man entsprechende Versuche schon einmal umzusetzen versuchte. Dann wird man die nicht sehr überraschende Feststellung machen, dass es meist längerer kontinuierlicher Kontaktpflege bedarf, bevor man damit rechnen kann, einmal einen Artikel in einem Organ oder ein Referat an einer Tagung platzieren zu können.
Die besten Chancen für Kontakte über die Grenzen politischer Anschauungen hinweg dürften sich bei Sachthemen ergeben – Beispiel Bodenfrage. Sachthemen gewährleisten am ehesten, dass die Diskussion nicht gleich im ersten Moment bei «ideologischen» Gegensätzen steckenbleibt. In der Nachfolge der Basler Volksinitiative «Boden behalten – Stadt gestalten» entstand eine Zusammenarbeit verschiedener Initiativen mit dem Anliegen einer Neutralisierung des Bodeneigentums, u.a. auch ein Reader unter demselben Titel und Beiträgen von Autoren verschiedenster Provenienz. (Inzwischen hat sich das Informationsnetzwerk «Gemeingut Boden» als Verein konstituiert u.a mit der Absicht, «den sachorientierten und faktenbasierten Diskurs über die Folgen der heutigen Bodenpolitik für die Gesellschaft» zu fördern; https://gemeingutboden.ch/)
- Stolperstein: Die Durchdringung der Funktionen
Dieser Aspekt ist als eine Art Nachtrag zu Punkt 2 anzusehen und gewinnt vor allem angesichts von Steiners physiologischen Ausführungen in «Von Seelenrätseln» an Plausibilität. Ich möchte die Problemstellung gleich anhand einer vor ein paar Jahren geführten Diskussion anschaulich machen: In einer Schilderung der Unternehmensentwicklung bedauerte ich, dass wir im Betrieb, der von einer kleinen Zahl sehr verantwortungsbewusster Mitarbeiter geführt worden war, ein Betriebsreglement einführen mussten. Bis da hin kannte jeder seine Aufgabe und diejenige seiner «Nachbarn» (im Sinne von Arbeitsteilung und Abläufen). Somit organisierte jeder die lückenlose Erfüllung seiner Aufgaben, wenn er einmal wegbleiben musste. Einfach nur die Abwesenheit kommentarlos in den Kalender einzutragen, kam nicht in Frage – und dann geschah es dann eben doch. Vielleicht gab es gleichzeitig noch ein paar andere Dinge, die zu regeln waren, jedenfalls entwickelten wir ein Betriebsreglement und ich bedauerte, dass das individuelle Verantwortungsbewusstsein nicht mehr ausreichte und die Rechtssphäre des Betriebs mit einem Rechtsinstrument (das Betriebsreglement) normiert und damit «entindividualisiert» werden musste.
Hier von Rechtssphäre zu sprechen, war für einen befreundeten Kenner der Dreigliederung des sozialen Organismus verfehlt. Das Ganze habe sich doch in einem Wirtschaftsbetrieb abgespielt. Und in der Wirtschaft herrsche das Vertragsprinzip, nicht Recht (mit demokratischem Mehrheitsvotum). Sehen wir einmal davon ab, dass ein Betrieb mit seiner Organisation zunächst ganz und gar eine Schöpfung des Geisteslebens ist6, müsste man in Analogie folgern, dass die Einführung eines Betriebsreglements im Bereich der Verwaltung eines Kunsthauses eine Angelegenheit des Geisteslebens (nicht des Rechtslebens) und somit mit Hilfe von Ratschlag zu realisieren wäre. Einmal Vertragsverhandlung, einmal Ratschlag, beide Male, um vergleichbare Normen für das Verhalten von Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen zu entwickeln?
Welcher Auffassung man auch zuneigt, deutlich wird anhand dieses Falls des Betriebsreglements, dass eine einfache, schematische Unterscheidung von Geistesleben, Rechtsleben und Wirtschaftsleben schnell an Grenzen führen kann – vor allem eben dann und dort, wo Funktionen (Prozesse) sich durchdringen. Unsere Erfahrung der physisch-räumlichen Welt lehrt uns, dass die Dinge nebeneinanderstehen. Kein Körper kann an der Stelle stehen, wo bereits ein anderer steht. Wo von Prozessen die Rede ist (seien es physiologische oder soziale) müssen wir immer mit gegenseitigen Durchdringungen rechnen. Eine sorgfältige Sozialphänomenologie kann uns auf die Spur bringen. Mit Blick auf die Durchdringung sprechen wir von (Drei-) Gliederung und nicht von Teilung.
- Stolperstein: Die Dreigliederung ist kein Problemlösungsautomatismus
«Solange kein umfassender Bewusstseinswandel im Sinne der Dreigliederung des sozialen Organismus stattfindet, kommt man aus dem ganzen Dilemma nicht heraus» sagte damals die Frau eines unlängst verstorbenen Unternehmensgründers und Dreigliederungsaktivisten in einem Interview in der Wochenschrift (Goetheanum). Welches Dilemma angesprochen worden war, spielt hier keine Rolle, eher die Tonalität. Sie lässt eine beklagenswerte Situation im gegenwärtigen irdischen Jammertal (wie man das zur Barockzeit geheissen hätte) erahnen und deutet eine Heilserwartung gegenüber der Dreigliederung des sozialen Organismus an.
Sind derartige Erwartungen berechtigt und können wir erwarten, dass alles oder wenigstens das Meiste rund läuft, wenn wir die Transformation zur Dreigliederung erst einmal hinter uns haben? Solche Erwartungen führen uns wieder ganz nah zur Dreigliederung als Utopie. Doch die Dreigliederung des sozialen Organismus löst kein einziges Problem. Sie stellt «nur» Strukturen bereit und legt Prozesse an, die der sachgemässen Problemlösung dienen. Mit der funktionalen Differenzierung beseitigt sie Antagonismen, zum Beispiel Mehrheitsvoten in Erkenntnisfragen. Institutionenübergreifende Lenkung (für unsere heutige Erfahrung oft eine Quelle von Machtausübung) wird aber nicht einfach ersatzlos wegfallen. Es wird Kultur- und Wissenschaftsräte, Assoziations- und Wirtschaftsräte geben, in welchen ein Ringen um Entscheidungen, Gelder und Einfluss stattfindet.
Rudolf Steiner hat die Dreigliederung des sozialen Organismus aus der Erkenntnis des Menschen (u.a. seines Egoismus) und der Dynamik sozialer Prozesse heraus formuliert. Er hat mit den Gegensätzen, die wir täglich erleben, gerechnet. Er wollte Bedingungen schaffen, die für den Umgang mit ihnen hilfreich sind. Es lag selbstverständlich nicht in seiner Macht, Gegensätze ein für alle Mal zu beseitigen.
Der Weg von der Philosophie der Freiheit zu den Kernpunkte[n] der sozialen Frage kann als Inkarnationsprozess verstanden werden. Aus der Philosophie der Freiheit lässt sich der Entwurf einer anarchistischen Gesellschaft lesen (was damals auch geschehen ist – Stichwort: John Henry Mackay7). Anarchie setzt das umfassend verantwortliche Handeln jedes Individuums voraus. In den Kernpunkten setzt sich Steiner gründlich mit den realen sozialen Gegensätzen auseinander. Diese Auseinandersetzung mit Gegensätzen bleibt uns nicht erspart. Wir können darauf zählen, in den dreigegliederten Strukturen und Prozessen wesentlich besser mit Gegensätzen umgehen zu können. Die Dreigliederung des sozialen Organismus ist jedenfalls kein Problemlösungsautomatismus.
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Epilog
Zum Thema des Durchdringens: 2. Strophe aus «Epirrhema» (1820) von Johann Wolfgang Goethe
Freuet euch des wahren Scheins,
Euch des ernsten Spieles:
Kein Lebendiges ist Eins,
Immer ist’s ein Vieles.
Goethe schreibt zur Natur. Auf diesen Seiten ist vom Sozialen die Rede, wo die letzten beiden Zeilen genauso wahr sind.
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1 In meinem Büchlein Eintopf und Eliten, Basel 2017 (Futurum), habe ich das Thema Polaritäten in verschiedensten Anwendungen «durchdekliniert».
2 André Bleicher: 100 Jahre Einsamkeit. Funktionale gesellschaftliche Differenzierungen und die Idee des dreigegliederten sozialen Organismus – Ansätze einer Synthese. In: Sozialimpulse 4/18
3 Béla Pokol: Professionelle Institutionensysteme oder Teilsysteme der Gesellschaft? Zeitschrift für Soziologie, 19(5)
4 Bruno S. Frey und Reiner Eichenberger: The New Democratic Federalism for Europe. Functional Overlapping and Competing Jurisdictions. Cheltenham 1999
5 In meinem Buch Solidarwirtschaft habe ich ein ganzes Kapitel dem Thema Fluchtwege aus der Konkurrenz gewidmet (Solidarwirtschaft. Verantwortung als ökonomisches Prinzip. Basel 2014 (Futurum)
6 Ein Wort zu Geistesleben und Wirtschaft: In einem gewissen Sinn ist die Wirtschaft die immateriellste Erscheinung im sozialen Organismus. Das Bedürfnis, so können wir modellhaft denken, steht an ihrem Anfang. Es ist im Geistesleben verankert. Auf der anderen Seite ist ein Produkt (oder eine Dienstleistung) entstanden, die eine Antwort auf das Bedürfnis darstellen könnte. Es ist ebenfalls ein Ergebnis des Geisteslebens. Wo das Bedürfnis in der Gestalt der Nachfrage zum Produkt (Leistung) in der Gestalt des Angebots den Weg findet und mit diesem in Beziehung tritt, entsteht das Spannungsfeld, das wir als Nachfrage und Angebot kennen, ähnlich dem Intervall zwischen zwei Tönen in der Musik. Spannungsfeld und Intervall sind ganz und gar immateriell. Messbar und damit sich materialisierend ist das Spannungsfeld erst rückwirkend, wenn die Spannung im Prozess des Waren-Geld-Tauschs sich entladen hat.
7 John Henry Mackay 1864 – 1933, Vertreter des Individualistischen Anarchismus. « Bei mir verband sich mit der Betrachtung Stirners damals eine Freundschaft, die bestimmend auf so manches in dieser Betrachtung wirkte. Es ist die Freundschaft zu dem bedeutenden Stirner-Kenner und -Herausgeber J. H. Mackay. Es war noch in Weimar, da brachte mich Gabriele Reuter mit dieser mir sogleich durch und durch sympathischen Persönlichkeit zusammen. Er hatte sich in meiner «Philosophie der Freiheit» mit den Abschnitten befaßt, die vom ethischen Individualismus sprechen. Er fand eine Harmonie zwischen meinen Ausführungen und seinen eigenen sozialen Anschauungen.» (aus: Rudolf Steiner Mein Lebensgang)
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Matthias Wiesmann
Bodenrecht, Assoziative Wirtschaftsformen.
Matthias Wiesmann, 1945 geboren, war nach einem sozial- und wirtschaftswissenschaftlichen Studium zunächst als Dozent und Hochschulassistent tätig. Seit 1990 an der Gründung und Entwicklung mehrer Handelsunternehmen und Initiativen für Bioprodukte beteiligt. Mitbegründer der Altersvorsorgestiftung CoOpera Sammelstiftung PUK sowie der Stiftung für Nutzungseigentum am Boden. Neben seinen Aufgaben im Vorstand und der Geschäftsführung zahlreicher Unternehmen umfasst sein Tätigkeitsfeld Projekte in den Bereichen Publizistik, Bildung, Unternehmenkommunikation und Marketing.